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3# Olis Reisetagebuch

Tag 1 | Porto bis Lavra ca. 26km

Da stand ich nun am Flughafen. In meinem tollen Reiseführer von Raimund Joos ist ja zum Glück der ganze Weg vom Flughafen bis nach Santiago erklärt und beschrieben.
Also schlug ich die richtige Seite auf und las nach, was ich jetzt tun musste. "Bus 3M in die Innenstadt" stand da.

Dann mal los! Ich nehme die Spannung gleich raus; Bus 3M existiert nicht. Vielleicht war ich auch zu doof ihn zu finden oder der Busfahrer wollte einfach nur meinen blöden Gesichtsausdruck sehen.

Portugiesen sind ja irgendwie süss. Aber Bock auf Pilger haben die doch eigentlich nicht oder? Ich habe vorher die absurdesten Dinge über das Verhältnis zwischen Pilgern und Einheimischen gelesen.

"Die Einheimischen sind so hilfsbereit!", "Die Einheimischen lieben Pilger!", "Die Einheimischen sind so stolz, dass ihr Land von Pilgern besucht wird!", "Einheimische haben mich zu sich nachhause auf einen Tee eingeladen!".

Also entweder es lag an meinem Gesicht oder an der Farbe meines Rucksacks oder vielleicht habe ich irgend eine Pilgerregel verpasst. Zu mir waren die Leute nicht wirklich sehr freundlich. Sie waren auch nicht unfreundlich aber sie haben sich auf keinen Fall gefreut, mich zu sehen.

 

Hier ein Beispiel:

Ich "Bom dia!" (hatte ich zuhause extra geübt.)

Busfahrer: "hm.."

Ich: "Ônibus para a cidade?"

Busfahrer: "hä?"

Ich: (dachte mein Portugiesisch muss wirklich unverständlich sein) "Bus to the City?"

Busfahrer: "Nao entendo ingles"

Ich: "Ô.n.i.b.u.s  p.a.r.a  a  c.i.d.a.d.e?"

Naja, Ihr könnt Euch vorstellen, wie unangenehm das war. Er wollte halt einfach nicht mit mir sprechen. Irgendwann nickte er nur, was ich als "klar, steig ein! Ich fahre dich in die Stadt" verstanden habe.

 

Die Busfahrt kostete 2€. Ich war ziemlich unsicher, ob ich wirklich in der Innenstadt landen würde. Aber ich hatte keine Wahl, als es auszuprobieren.

Es hat tatsächlich geklappt! Ich stieg in der Stadt aus und machte mich auf die Suche nach der Kathedrale, wo mein Weg offiziell beginnen sollte.

Natürlich baut Ihr die Kathedrale auf einen Berg! Ihr wollt, dass die Pilger noch vor dem Start einen Nervenzusammenbruch haben oder?

In der Kathedrale holte ich mir meinen ersten Stempel ab. Ich gebs zu, ich hab ein bisschen geheult.

Und dann bin ich einfach losgelaufen. Den gelben Pfeilen hinterher. Ich bin gelaufen und gelaufen und gelaufen.

Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wie man das am besten angeht. Ich bin einfach losgerannt. Nach dem Motto "je schneller ich unterwegs bin, desto schneller bin ich wieder zuhause".

Nach ca. 8km fiel mir auf, dass ich weder Wasser, noch etwas richtiges zu Essen dabei hatte. Ich hatte nur getrocknete Aprikosen.

Die sind ganz schön trocken, wenn man durstig ist.

Irgendwann erreichte ich das Meer. Sobald ich an der Küste ankam, liefen mir die Tränen übers Gesicht. Das Ding mit dem Meer ist eine emotionale Sache für mich. Am Meer fühle ich mich einigen lieben Menschen sehr nahe, die nicht mehr bei uns sind.

Darum habe ich mich kurz auf die Mauer gesetzt, die den Weg vom  Strand trennt und habe dort ein paar Mitnuten Pause gemacht.

 

Ich hatte schon viele andere Pilger gesehen, jedoch habe ich mich nicht getraut, jemanden anzusprechen. Auch hier war ich ein Bisschen entäuscht, weil ich erwartet hatte, dass alle Pilger automatisch miteinander sprechen und ein Stück zusammen gehen würden.

Gegen Mittag hatte ich mein erstes Tief erreicht. Ich hatte immer noch nichts richtiges gegessen und getrunken und irgendwie fand ich auch keine Möglichkeit, meine Vorräte aufzufüllen.

Als ich gerade heulen wollte, hörte ich von hinten ein freundliches "Hi! Bom Caminho!"

Eine lieb lächelnde Frau im mittleren Alter war mir auf den Fersen und holte mich schliesslich ein. Sie hiess Lory und kam aus Californien. Sie fragte mich auf englisch, wie es mir geht. Ich, den Tränen nah sagte nur "i'm okay".

Sie erzählte mir, dass sie und ihr Mann auf ihrer letzten Pilgerreise auf dem Camino Frances ein deutsches Ehepaar kennengelernt hatten. Zu viert machten sie nun den Camino Portugues.

Wir sprachen ein Bisschen über unsere Leben und wieso ich mich für den Jakobsweg entschieden hatte. Ich war die ganze Zeit den Tränen nah und das merkte sie offenbar auch. Irgendwann blieb sie stehen, nahm meine Hand und sagte "der Camino gibt jedem was er braucht. Du wirst sehen, er wird auch Dir zeigen, was das Leben zu bieten hat. Nimm diesen Tipp mit auf Deinen Weg: Gib niemals abends auf. Auch wenn die Situation ganz schrecklich ist, entscheide erst morgens, wie es für Dich weiter geht."

Danach trennten sich unsere Wege.

 

Ich fand endlich ein Restaurant und bestellte dort mein erstes Pilgermenü. Es war... ich sag mal "bescheiden".

Aber hauptsache, ich hatte etwas im Magen. In dem Rastaurant kaufte ich dann noch ein paar kleine Wasserflaschen.

Frisch gestärkt ging ich weiter. Ich möchte hier nochmal erwähnen, dass ich nur zweieinhalb Stunden geschlafen hatte.

Ich pilgerte so vor mich hin und musste feststellen, dass das ganze wirklich wahnsinnig langweilig ist.

Ja, es war schön an der Küste entlang zu gehen und die Meeresbriese und das Rauschen bla bla.. Aber trotzdem echt langweilig. Das einzige Highlight war eine Brücke, die Hochgeklappt wurde, damit ein Frachtschiff durch den Kanal passt. Das bedeutete aber auch, dass ich 15min warten musste, bis die Brücke wieder runtergefahren wurde, was mich total aus meinem Rhytmus brachte.

Um 16.21 Uhr habe ich meinem Freund geschrieben: "Ich kann nicht mehr! Ich bin schon 22km gelaufen und es ist kein Ende in Sicht! Aber der Witz ist, man kann gar nicht aufgeben! Ich kann ja nicht einfach hierbleiben! Irgendwo muss ich ja schlafen und ich hab keine Ahnung, wo ich hin muss!"

Ich war total verzweifelt. Ich hatte mich so auf die typischen Holzstege an der Küste gefreut, auf die Leuchttürme und die schönen Blicke aufs Meer. Nach 22km war mir das scheiss egal. Ich weinte beim laufen. Der Kloss in meinem Hals wollte sich einfach nicht lösen. Ich dachte, ich sollte schon längst angekommen sein. Auf Google Maps fand ich keine Unterkunft und auch keine Busstation. Ja, ich hätte einen Bus nach irgendwo genommen, wenn ich einen gefunden hätte. Hab ich aber nicht.

Meine Hüfte und meine Schultern taten so weh, weil das Gewicht vom Rucksack drückte. Auch meine Füsse brüllten mich schon lange an und wollten wissen, was das alles soll.

Ich habe dann im Reiseführer einen Campingplatz in Lavra entdeckt, den ich nun anpeilte. Bis dahin waren es noch 5km.

Diese 5km habe ich weinend verbracht. Ich bin gelaufen und habe vor mich hingeweint. Wenn ich alleine war, hab ich manchmal laut vor mich hingesungen um mich abzulenken. Ich fluchte auch sehr viel. Ich fürchtete langsam, dass ich durch das ganze gefluche in Santiago nicht von meinen Sünden befreit werden würde.

Die letzten 200m gingen dann noch bergauf. Der heilige St. Jakob wollte mich leiden sehen.

Ich weinte um jeden Schritt und jedes Kilo auf meinem Rücken. Ich weinte die ganze Zeit und trotzdem war der Kloss in meinem Hals immer noch so dick und schwer.

In dem Moment, als ich den Campingplatz erreichte fing es an zu regenen. Irgendwohin schickte ich ein leises "danke".

 

Ich betrat das Kassenhäuschen, wo mich ein netter Portugiese lieb begrüsste und mir als erstes den Rucksack abnahm. Ich wäre fast nach vorne umgekippt ohne das Gewicht. Auf seine Frage, wie es mir geht, fragte ich ihn nur, ob es normal ist, dass es mir gerade so geht. Er lachte laut und meinte "Olivia du Funny Girl! Die meisten Pilger, die hier übernachten, sind so wie du heute gestartet. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du fantastisch aussiehst und diesen Weg ohne zwischenfälle meistern wirst!"

Ich glaubte ihm kein Wort. Es machte mich fast wütend, dass er mich nicht ernst nahm. Ich hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie so beschissen gefühlt. Vorallem dieser scheiss Kloss im Hals. Ich werde das Gefühl von diesem Kloss nie vergessen. Das tat richtig weh. Er wollte einfach nicht weg gehen.

 

Die Übernachtung auf dem Campingplatz kostete 11€, was für Pilgerverhältnisse etwas teurer ist.

Der nette Portugiese zeichnete mir auf einem Plan des Campingplatzes ein, wo ich meinen Bugalow finden würde. Er erklärte mir, dass es einen Gemeinschaftsraum gäbe, wo sich abends die Pilger treffen um sich auszutauschen.

Durch den strömenden Regen suchte ich eine Ewigkeit meinen Bungalow.

Der Bungalow war eine mehrbessere Wellblechhütte. Ein einziger Raum mit einer Trennwand, zwei Feldbetten mit fleckigen Matratzen, ein Bisschen Schimmel, feuchte Wände und kein Badezimmer.

Im Inneren der Hütte fand ich übrigens noch eine schlafende Frau vor. Memo an den Typen im Kassenhäuschen: "Sag das doch!!"

Da ich laut stöhnend und fluchend den Bugalow gestürmt hatte, wachte sie natürlich auf.

Sie stellte sich auf englisch vor. Ihr Englisch hatte aber einen sehr schwäbischen Einschlag, darum fragte ich, ob wir deutsch sprechen können. Daniela war ungefähr vierzig, ein bisschen stämmig, sehr sympathisch, wollte aber eher ihre Ruhe haben.

Sie erzählte mir kurz, dass sie öfter pilgert und sie manchmal bis zu 20kg Gepäck mit sich rumschleppt. Okay Daniela! Du bist eine krasse alte!

Sie hat sich dann wieder hingelegt. Ich hab meine Mama angerufen und sie gefragt, was sie eigentlich geritten habe, als sie mich hat gehen lassen. Ich hab geweint und gefluch (wieder mal) und ihr im vollen Ernst gesagt, dass ihr doch hätte klar sein müssen, dass ich das gar nicht wirklich will! Wie meine Mama so ist, meinte sie: "Oli, ganz ehrlich? Als ob Du gesagt hättest "klar, du hast recht, ich bleib zuhause" wenn ich dir vorher davon abgeraten hätte." Hm.. die ist gut meine Mutter.

Für den Moment half es nichts, ich war ein Häufchen Elend. Meine Mama überzeugte mich davon, dass ich was essen solle und dann direkt ins Bett.

Also machte ich mich durch den Regen auf den Weg zum Restaurant. Ich bestellte die Tagessuppe und den Hauptgang mit Fisch. An einem anderen Tisch sassen drei deutsche Frauen, die gerade mit Rotwein auf ihren ersten Tag anstiessen. Ich sass am Tisch, vor meinen vollen Tellern und konnte mich nicht rühren. Ich sass da mit meinem dicken Kloss im Hals und konnte nichts essen. Nach einer halben Stunde fragte ich nach der Rechnung. Der Kellner war sichtlich irritiert. Aber ich sagte nur "Bitte, ich möchte zahlen. Das Essen ist gut aber ich kann einfach nicht."

Ich zahlte und verliess fluchtartig das Restaurant. Ich gab mir einen Ruck und entschied, noch in den Gemeinschaftsraum zu gehen. Geteiltes Leid und so weiter.

Ich steuerte also auf den Gemeinschaftsraum zu, öffnete die Tür und... leer. Keine Menschenseele.

Was tat ich dann? Richig! Ich weinte.

Im grossen Gemeinschaftsbad putzte ich mir die Zähne. Aufs Duschen hab ich verzichtet. Wer braucht schon in einer schimmeligen Gemeinschftsdusche mit 12 anderen Menschen zu stehen, wenn man sowieso gerade mit der Welt abgeschlossen hat?

Ich kuschelte mich in meinen Schlafsack. Wenn ich den viel zu schweren Kaputzenpulli nicht doch noch eingepackt hätte, wäre ich in dieser Nacht erfroren. Es regnete und stürmte so stark, dass ich dachte, ich würde bald im Land von Oz landen.

Ich schrieb meinem Freund noch eine SMS, worin ich ihm klarmachte, dass ich vermutlich sterben würde. Ausserdem hatte ich vor, am Morgen einen Bus zu suchen und damit nach Santiago zu fahren, wo ich dann vor meinem Heimflug ein paar Tag das leckere Essen und die Tourishops geniessen würde. Natürlich nur, wenn ich die Nacht entgegen aller Erwartungen überleben würde.

Ich schaffte es tatsächlich einzuschlafen. Mein Körper war so erledigt, dass er den Kopf besiegte.


Ich möchte niemandem Angst machen. Wirklich nicht! Mein erster Tag war wirklich sehr beschissen. Ich habe aber auch einige Fehler gemacht.

Tipp von mir: Schaut Euch Porto an! Verbringt einen Tag und eine Nacht dort und geniesst es, mal alleine einen Städtetrip zu machen. Kauft Euch anständigen Proviant. Etwas süsses, etwas salziges und etwas gesundes. Und schaut, dass ihr morgens Euren Wasservorrat mit mindestens 1,5l auffüllt.

Und jetzt noch den Mastertipp: Am ersten Tag reichen auch 10km :)


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